Liebe Gemeinde,

der Sonntag, der die neue Woche eröffnet, trägt den lateinischen Namen „Lätare“ (lat. „Freue dich!“). Angesiedelt inmitten der Passions- bzw. Fastenzeit, nimmt er ein Stück weit vorweg, worauf Menschen hoffen können und dürfen: auf neues Leben – auch wenn es rundherum nicht danach ausschaut.

Während wir in der Natur und auch offiziell im Kalender das Frühlingserwachen erleben, steht die Welt im Bann der Corona-Virus-Pandemie. Die Maßnahmen, die zu deren Eindämmung offenbar unabdingbar sind, schränken unseren bislang gewohnten Alltag drastisch ein. Für viele ist das Zuhause-Bleiben-Müssen wie eine Vollbremsung auf ihrem Lebensweg. Die zurückliegenden Tage haben das bewusst gemacht: Keine Besuche mehr. Keine Freizeitunternehmungen mehr. Vielleicht – noch viel schlimmer – auf längere Sicht auch kein Arbeitsplatz mehr. Dies auf dem Hintergrund der zentralen Sorge um die Gesundheit von uns hier und in aller Welt. Alles auch unterlegt mit bangen Fragen: Wie lange wird diese Krise dauern? Was wird dann sein? Wird alles wieder gut werden? Meint „alles gut“ einfach „alles so, wie es vorher war“?

Der Wochenspruch für die vor uns liegende Woche, die mit dem Sonntag Lätare, 22.3.2020, beginnt, findet sich im Johannesevangelium. Wie so oft möchte Jesus seine Mitmenschen auf bildhafte Weise erreichen und sie zum Innehalten und Nachdenken anregen: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Johannes 12,24

Ein Weizenkorn allein macht nicht satt. Ein Weizenkorn allein ist nicht Brot für alle Hungernden. Ein Weizenkorn allein wendet nicht die ganze Not. Aber ein Weizenkorn ist der Anfang – wenn, ja wenn es sich auf das Feld werfen lässt, wenn es in die Erde fällt. Es muss ins Dunkel, dorthin, wo es unseren Blicken entzogen ist, zwar geschützt und bewahrt und doch seiner Umgebung ausgeliefert. Es ist zum Warten, zur Geduld verurteilt. Es verliert seine Gestalt. Dann aber zeigt sich ein Keimling. Es wächst ein Neues, ein Halm, eine Ähre mit vielen Körnern. Sie reifen zur Ernte, hundertmal mehr Brot für die Welt.

Dieses Wort Jesu ermutigt. Niemand kann die uns alle betreffende Krise allein bewältigen. Aber jede und jeder von uns ist ein Anfang – wenn, ja wenn er und sie bereit ist, seinen bzw. ihren Beitrag zu leisten, „zwar geschützt und bewahrt“ – etwa in den eigenen vier Wänden, Abstand haltend, den Blicken anderer – manchmal sogar jenen der Eltern und Großeltern und anderer zu schützender Risikogruppen – entzogen. Sich ausgeliefert fühlen auf unbestimmte Zeit. Zum Masterstudium im Fach Geduld eingeschrieben. Vielleicht auch eingeladen, mitzuhelfen dort, wo es uns möglich ist – in der Familie, in der Partnerschaft, bei den Kindern, aber auch in der Nachbarschaft, professionell oder ehrenamtlich dort, wo wir gebraucht werden.

Und versehen mit der Verheißung, dass „die Mitte der Nacht“, die wir möglicherweise noch nicht erreicht haben, doch auch „der Anfang des Tages“ ist, wie der evangelischen Theologe Jörg Zink einmal in Form eines Buchtitels gemeint hat.

In der Verbundenheit unserer Hoffnung grüßt Sie
Ihr Pfarrer Günter Wagner